Stadt Ditzingen

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Karl Siegle

1881 – 1947

Politiker und Gewerkschaftsfunktionär

Karl Siegle gehört zu den engagierten Gegnern des Nationalsozialismus aus Ditzingen. Als Vertreter des gewerkschaftlichen Widerstands geriet er schon früh in das Visier des NS-Regimes und verbrachte mehrere Jahre in Haft.

Geboren wurde er am 25. September 1881 als Sohn des Ditzinger Schreinermeisters Wilhelm Heinrich Siegle (1852-1899) und seiner Ehefrau Katharine, geb. Kocher (1858-1929). Das Geburtshaus in der Marktstraße 14 ist erhalten, aber stark verändert. Siegle besuchte die Volksschule (Karlsschule) in Ditzingen und erlernte anschließend den Tischlerberuf. 1900 trat er dem damals noch in Stuttgart ansässigen Deutschen Holzarbeiterverband (DHV) bei, ein Jahr später der SPD. Zwischen 1901 und 1903 leistete er in Ludwigshafen am Rhein seinen Militärdienst ab.

1907 übersiedelte Siegle nach Berlin und arbeitete bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs als Tischler.Er nahm am Ersten Weltkrieg teil. Nach Kriegsende wurde er hauptberuflich für den Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund (ADGB) tätig und übernahm schnell Verantwortung: Vom 1. Mai 1919 bis 30. September 1920 war er Bevollmächtigter der Verwaltung Berlin des DHV. Während des Kapp-Lüttwitz-Putschs im März gehörte er der Zentralstreikleitung an, die sich vorwiegend aus Mitgliedern der KPD, USPD und der Berliner Gewerkschaftsorganisation zusammensetzte.Am 1. November 1920 wurde er Sekretär des ADGB-Ortsausschusses Berlin und war in dieser Funktion für soziale Belange zuständig. Dazu zählten dazu besonders das Krankenkassenwesen, die Arbeitsämter und das Wohnungswesen. Am 15. Juli 1923 wurde Siegle zum stellvertretenden Vorsitzenden des ADGB-Ortsausschusses Berlin gewählt. Daneben war er Mitglied des Geschäftsführenden Ausschusses des Landesarbeitsamts Berlin-Brandenburg, Aufsichtsratsvorsitzender der Gemeinnützigen Heimstätten AG (Gehag, größte Wohnungsbaugenossenschaft der Freien Gewerkschaften in der Weimarer Republik) und Mitglied des Vorstands der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) Berlin. In seiner Funktion als Sekretär und Vorstandsmitglied des ADGB veröffentlichte er Aufsätze im „Vorwärts“ und in der „Gewerkschaftszeitung“.

Sein politisches Engagement mündete 1925 in die Wahl zur Bezirksverordnetenversammlung von Friedrichshain. Von 1929 bis 1933 war er Stadtverordneter von Berlin. Nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten und der Zerschlagung der Gewerkschaften verlor er seine gewerkschaftlichen Ämter. Im Juni 1933 wurde auch die SPD verboten. Sein Mandat als Bezirks- und Stadtverordneter wurde ihm entzogen und die weitere Tätigkeit dort untersagt. Siegle stand unter Beobachtung der Gestapo. Seine Wohnung wurde mehrfach durchsucht. Am 16. Dezember 1933 wurde er verhaftet und vorübergehend im KZ Columbiahaus inhaftiert.  Vom 6. Bis 16. Januar 1934 war er im KZ Oranienburg, anschließend in der Untersuchungshaftanstalt Berlin-Moabit untergebracht. Insgesamt verbrachte er wegen des Vorwurfs der Verbreitung illegaler Schriften und seiner Kontakte zum Internationalen Gewerkschaftsbund neun Monate in Untersuchungshaft. Aus Mangel an Beweisen wurde er am 25. August 1934 vom Berliner Kammergericht von einer Anklage wegen „Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens“ freigesprochen. Erst Ende 1936 fand er als Versicherungsagent einer privaten Krankenversicherung auch wieder eine Arbeitsstelle.

Seine Widerstandstätigkeit gegen das NS-Regime setzte er auch jetzt fort. Gemeinsam mit anderen Gewerkschaftern verteilte er die vom in Prag ansässigenExilvorstand der SPD (Sopade) herausgegebene Zeitschrift „Sozialistische Aktion“. Er gehörte zum Kreis um Otto Brass und Hermann Brill, die Ende 1938 die sog. „Zehn-Punkte-Gruppe“, später die Widerstandsgruppe „Deutsche Volksfront“ bildeten. Im Januar 1937 reiste Siegle mit Brass und Fritz Michaelis zu einer Besprechung mit dem Sopade-Vorstand nach Prag, berichtete dort über die Untergrundaktionen im Deutschen Reich und trat für eine engere Kooperation mit den Kommunisten ein. Wegen seiner Teilnahme an dem Prager Treffen („Vorbereitung zum Hochverrat“) wurde er erneut verhaftet und am 29. September 1939 vom Volksgerichtshof zu einer zweieinhalbjährigen Gefängnisstrafe verurteilt, die er bis Ende April 1941 im Polizeigefängnis Berlin-Tegel verbüßte. Nach seiner Haftentlassung arbeitete er als Kalkulator in der Berliner Elektroindustrie. Im Sommer 1944 hielt er sich zu einem längeren Besuch bei seiner Familie in Württemberg auf. Vermutlich entging er nur deshalb der Verhaftungswelle nach dem gescheiterten Hitler-Attentat vom 20. Juli. Auch nach Kriegsende war er vorübergehend in Ditzingen, kehrte aber schon im August 1945 nach Berlin zurück und wurde dort Vorsitzender der Entnazifizierungskommission für den Bezirk Lichtenberg. Als es in seiner Kommission zu einer Korruptionsaffäre kam, wurde Siegle Rechtsbeugung und passive Bestechung vorgeworfen. Obwohl er die Vorwürfe bestritt, wurde er aus der SPD ausgeschlossen. Kurz nach seiner Rehabilitierung verstarb er am 27. November 1947 in seiner Wahlheimat Berlin.

Zum Weiterlesen: Björn Lampe: Siegle, Karl (1881-1947). Deutscher Holzarbeiterverband. In: Siegfried Mielke (Hg.): Gewerkschafter in den Konzentrationslagern Oranienburg und Sachsenhausen. Biographisches Handbuch. Band 2. Berlin 1993, S. 397-399. – Christine Fischer-Defoy (Hg.): Vor die Tür gesetzt. Im Nationalsozialismus verfolgte Berliner Stadtverordnete und Magistratsmitglieder 1933-1945. Berlin 2006.