Stadt Ditzingen

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Konrad Kocher

1786 – 1872

Komponist und Kirchenmusiker

Am 16. Dezember 1786 in Ditzingen als Sohn eines Schuhmachers geboren und in einfachen Verhältnissen aufgewachsen, stieg Konrad Kocher zu einem führenden württembergischen Kirchenmusiker seiner Zeit auf. Pfarrer und Schullehrer, die seine Begabung früh erkannten, ermöglichten dem jungen Kocher die Ausbildung zum Volksschullehrer bei dem Ditzinger Schulmeister Johannes Hahl, der ihm auch die erste Unterweisung im Orgelspiel gab. 1802 wurde er Hilfslehrer in Schönaich (Oberamt Böblingen), 1803 Provisor in Esslingen. Das kärgliche Hilfslehrerdasein in der schwäbischen Heimat befriedigte ihn nicht lange. Auf Vermittlung eines Bekannten reiste er 1805 nach St. Petersburg, um eine Hauslehrerstelle anzutreten, die er bei seiner Ankunft jedoch schon besetzt vorfand. Völlig mittellos finanzierte er seinen Aufenthalt in der russischen Hauptstadt durch Klavierunterricht bei wohlhabenden Familien der deutschen Kolonie. Der italienische Pianist, Komponist und Musikverleger Muzio Clementi, mit dem er dort in Kontakt kam, ermutigte ihn, sich ganz der Musik zu widmen. Bei Clementis Schülern August Alexander Klengel und Ludwig Berger konnte er seine Ausbildung vervollständigen.

1811 nach Württemberg zurückgekehrt, ließ Kocher sich als Klavierlehrer in Stuttgart nieder. Zugleich versuchte er sich als Komponist von Klavier- und weltlichen Bühnenwerken. Er schrieb vier Opern, von denen zwei (Der Käficht, Der Elfenkönig) am Stuttgarter Hoftheater zur Aufführung kamen. Auf Initiative des Verlegers Johann Friedrich Cotta vertonte er Goethes Singspiel Jery und Bätely. Cotta übersandte das Werk nach Weimar und ermöglichte Kocher eine Begegnung mit dem Dichter, der ihn wohlwollend aufnahm und ihn seinerseits an den Leipziger Musikkritiker Johann Friedrich Rochlitz weiterempfahl. Im Mai 1819 wurde vermutlich Kochers Oratorium Der Tod Abels in Leipzig uraufgeführt. Dennoch ist seine Karriere als Bühnenkomponist schließlich gescheitert. Mit dem Amtsantritt Peter von Lindpaintners als Kapellmeister am Stuttgarter Hoftheater (1819) wurden die Lokalkomponisten dort zunehmend aus dem Programm verdrängt.

Die finanzielle Unterstützung Cottas ermöglichte Kocher 1820/21 einen längeren Aufenthalt in Rom, den er zum Studium der altitalienischen Kirchenmusik nutzte. Schon in St. Petersburg hatte er sich für den schlichten Sakralgesang der russischen Hofkapelle begeistert. In Rom beeindruckten und inspirierten ihn besonders die Aufführungen alter geistlicher Vokalmusik in der Sixtinischen Kapelle während der Karwoche. Er stand in freundschaftlichem Austausch mit dem päpstlichen Kapellmeister Giuseppe Baini und dem preußischen Gesandtschaftssekretär Christian Bunsen, der seine künstlerischen Interessen teilte, selbst Psalmen und Hymnen der altitalienischen Meister sammelte und in seiner Wohnung Privataufführungen von Mitgliedern der päpstlichen Kapelle ermöglichte. Die Reformation der evangelischen Kirchenmusik und die Rückbesinnung auf einen auch den einfacheren Gesellschaftsschichten zugänglichen diatonischen A-Cappella-Gesang wurden zu Kochers Lebensaufgabe. Noch in Rom muss er erste Skizzen zu seinem Werk „Die Tonkunst in der Kirche“ angefertigt haben, das er nach seiner Rückkehr 1823 im Verlag von J. B. Metzler veröffentlichte. Eine seiner Forderungen, die Einführung eines allgemeinen methodischen Gesangsunterrichts an den Schulen, wurde schon im November des gleichen Jahres per Verordnung der obersten Schulbehörde umgesetzt.

Als Anhänger der Ideen des Schweizer Musikpädagogen Hans Georg Nägeli, einem Pionier des Gesangvereinswesens, unterstützte Kocher auch die Verbreitung des weltlichen Chorgesangs als Mittel zur musikalischen Volkserziehung. 1824 beteiligte er sich an der Gründung des Stuttgarter Liederkranzes und erwies sich als produktiver Komponist mehrstimmiger Chorlieder. Sein Hauptaugenmerk galt jedoch weiterhin der Verbesserung der Kirchenmusik in Württemberg. Zur Beförderung des vierstimmigen Gemeindegesangs, einem seiner bevorzugten Projekte, veröffentlichte er 1825/28 gemeinsam mit Friedrich Silcher und Johann Georg Frech die „Vierstimmigen Gesänge der evangelischen Kirche“ und das „Vierstimmige Choralbuch für Orgel- und Clavierspieler“. Durchsetzen konnte er sich mit seinem Reformwerk letztlich nicht. Beruflichen Erfolg erlangte er indessen mit der Ernennung zum Organisten an der Stuttgarter Stiftskirche (1827) und zum Stiftsmusikdirektor (1838). Zugleich mit der Funktion des landeskirchlichen Orgelrevisors betraut, wirkte er bei allen grundlegenden Orgelfragen des Landes mit. Er begleitete zahlreiche Orgelneu- und -umbauten in ganz Württemberg, darunter den Einbau und die Erweiterung der aus dem Kloster Zwiefalten übernommenen Joseph-Martin-Orgel auf der Westempore der Stiftskirche durch Eberhard Friedrich Walcker in den Jahren 1837 bis 1845 und die Restaurierung der Orgel in der Konstanzer Kirche in Ditzingen (1839).

Nach 1830 folgte eine Reihe weiterer Publikationen mit weltlicher und geistlicher Chormusik sowie Werke für den Klavierunterricht und über die Harmonik. 1855 erschien Kochers Opus magnum „Die Zionsharfe“. In dem vierbändigen Choralwerk vereinte er fast 2000 Melodien aus der evangelisch-lutherischen, reformierten, anglikanischen und römisch-katholischen Kirche. Ungedruckt blieb das siebenteilige Oratorium Vater unser (1855), das 1986 anlässlich der Konrad-Kocher-Festwoche in Ditzingen zur Aufführung kam.

Konkurrenz erwuchs ihm zunehmend in dem Orgelvirtuosen Immanuel Faißt, der Leiter der neu gegründeten Organistenschule und Dirigent des Liederkranzes wurde und ihn schließlich auch als Stiftsmusikdirektor (Dirigent des Kirchenchors der Stiftskirche) ablöste. Kocher behielt aber bis zu seinem Ruhestand 1865 die Stelle als Organist an der Stiftskirche. Für sein Wirken wurden ihm schon zu Lebzeiten zahlreiche Würdigungen zuteil: 1852 war er für seine „Verdienste um den Fortgang der Kirchenmusik“ mit der Ehrendoktorwürde der Philosophischen Fakultät der Universität Tübingen ausgezeichnet worden. König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen, dem er seine „Zionsharfe“ widmete, verlieh ihm die Goldene Medaille für Kunst und Wissenschaft. 1871 wurde er Ehrenmitglied des Stuttgarter Liederkranzes und des Schwäbischen Sängerbunds. Er starb am 12. März 1872 in Stuttgart und fand seine letzte Ruhestätte auf dem Stuttgarter Fangelsbach-Friedhof.

Zum Weiterlesen: Wolfgang Kocher, Inge Nunnenmacher: Ein Leben für die Tonkunst. Der schwäbische Musiker Konrad Kocher (Ditzingen 2011).